Mit einer Grossveranstaltung die Inklusion vorantreiben
Am 10. März 2029 findet in Zürich Grosses statt: die Eröffnungsfeier der Special Olympics World Winter Games. Der Anlass für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ist die zweitgrösste Wintersportveranstaltung weltweit hinter den Olympischen Spielen. Bruno Barth, Direktor von Special Olympics Switzerland, erzählt, was der Grossanlass auslösen soll.
Bruno Barth, Special Olympics Switzerland setzt sich dafür ein, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Sport machen können. Wie wichtig ist Sport für diese Menschen?
Sehr wichtig! Bei den meisten ist das Bewegungsverhalten anders. Es braucht mehr Motivation für Bewegung. Wir erleben immer wieder, dass die verschiedenen Anlässe, die wir organisieren, etwa die National Games, sehr motivierend sind für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung.
Wieso ist das so?
Unsere Athletinnen und Athleten sprechen immer davon, dass sie eine Medaille wollen. Wie viel Einsatz und Entbehrung aus Sicht des Spitzensports es dafür braucht, das ist ihnen zwar in der Regel fremd. Aber sie haben den Medaillentraum. Das Gefühl, gewonnen zu haben, ist für sie eine extreme Motivation.
Gibt es denn einen Profisport für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung? Oder bleibt es Laiensport, auch wenn National Games oder World Games stattfinden?
Es ist kein Spitzensport. Wenn Höchstleistungen und absoluter Siegeswille im Vordergrund stehen, dann ist man nicht am richtigen Ort und kann in den normalen Strukturen Sport treiben. Bei uns gibt es nicht einfach den Besten in einer Disziplin, denn wir haben sehr viele Kategorien. Die Unterschiede in den Beeinträchtigungen und damit in den Leistungen sind extrem gross.
Wie kommen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ausserhalb von Anlässen dazu, Sport zu treiben?
In der Schweiz gibt es den Behindertensport, der in den 1960er Jahren geschaffen wurden. Ähnlich wie in der Wirtschaft und beim Wohnen wurden für Menschen mit Beeinträchtigung also separate Strukturen geschaffen. Doch eigentlich braucht es einfach Menschen, die jemanden mit einer Beeinträchtigung für eine Sportart begeistern. Wir müssen es schaffen, dass wir diese Leute finden und ihnen helfen, mit Vereinen in den Regelsportstrukturen Angebote aufzubauen, an denen alle Menschen, egal woher sie kommen und was sie haben, teilnehmen können.
Wo stehen wir aktuell in der Schweiz? Können Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung bereits in den Regelsportstrukturen Platz finden?
Wir sind gerade in einer spannenden Phase: 2014 hat die Schweiz die UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet. Die Schweiz ist in der Umsetzung noch schwach, auch deshalb, weil wir die erwähnten Strukturen für Menschen mit Behinderung haben. Das muss und wird sich ändern. Was den Sport angeht, bedingt dies, dass Swiss Olympic und das Bundesamt für Sport eine klare Haltung einnehmen. Sie müssen die verschiedenen Sportverbände dazu bringen, ihre Angebote allen Menschen zugänglich zu machen. Gerade dieses Jahr ist hier einiges im Tun.
Schauen wir uns dies konkreter an: Ist es denn möglich, dass Menschen mit und ohne geistige Beeinträchtigung in Vereinen gemeinsam Sport treiben?
Es funktioniert, solange es nicht um das absolute Gewinnen geht. Unser Ziel ist, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Teil von Vereinen werden und so am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Gemeinsam trainieren geht. Sobald es beim Wettkampf ums Gewinnen geht, gilt es Einteilungen zu machen, damit alle beteiligt werden können. In der Inklusion ist es immer ein Thema, wie man dies genau löst. Aber strukturell ist für uns klar: Vereine wie der FC Zürich sollten Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in ihren Strukturen aufnehmen können.
Nehmen wir den FC Zürich: Wie verkaufen Sie ihm, dass es sich lohnt, Menschen mit geistiger Beeinträchtigung aufzunehmen?
Wir profitieren als Menschen enorm davon, mit Menschen, die anders sind, zusammen zu sein. Es führt zu einer Reflexion darüber, was im Leben wirklich wichtig ist. Dies zu verkaufen, ist nicht immer einfach, denn viele Vereine haben zu wenige Trainer. Wenn sie selbst nach Personen suchen müssen, die Trainings für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung anbieten, ist es schwierig. Wir können aber helfen. Bei Special Olympics haben wir den Vorteil, dass sich im familiären Umfeld von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung häufig engagierte Personen finden. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten sechs Jahren viel erreichen können.
Im März 2029 finden die Special Olympics World Winter Games in der Schweiz statt. Das sind sozusagen die Olympischen Winterspiele für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Haben Sie diese Spiele in die Schweiz geholt, damit es vorwärts geht mit der Inklusion im Sport?
Ja, hauptsächlich aus diesem Grund. Das ist unser oberstes Ziel, und es funktioniert auch gut. Wir arbeiten im Kanton Graubünden zum Beispiel daran, mit dem Thema Inklusion ins Regierungsprogramm zu kommen. Zürich ist da bereits weiter. Ich denke, wir können viel bewegen in den nächsten sechs Jahren, weil das Thema auf dem Radar und in den Medien präsent ist.
Die Spiele kosten den Bund, die Kantone Graubünden und Zürich sowie die beteiligten Gemeinden 30 Millionen Franken. Brauchte es viel Überzeugungsarbeit, also Lobbying, für diese Investition?
Es war sehr viel Arbeit, aber Überzeugungsarbeit eigentlich nicht. Die Bereitschaft war überall gross. Alle Leute, die sich für Inklusion stark machen, sehen das Potenzial dieser Veranstaltung.
Was ist aus Ihrer Sicht das Rezept für erfolgreiches Lobbying?
Es ist wichtig zu Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, aber auch zu den Personen, die eine solche Entscheidung vorbereiten, einen guten, direkten Draht zu haben. Innerhalb einer Organisation muss es jemanden geben, der oder die unsere Anliegen vertreten kann. Bei Politikerinnen und Politikern ist es zudem wichtig, dass sie nie etwas zuerst aus den Medien erfahren.
Die Special Olympics World Winter Games werden im Stadion Letzigrund eröffnet - am 10. März 2029. Was wird dann hier passieren?
Dieser Tag wird eine organisatorische Herausforderung für uns. Vor der Eröffnungsfeier sind die teilnehmenden Nationen vier Tage in der ganzen Schweiz verteilt. Am 10. März fahren sie von überall her nach Zürich. Am Nachmittag findet die Feier vor 20’000 Zuschauenden statt. Die Show wird ähnlich sein wie bei den Olympischen Spielen - mit Flagge, Hymne und Flamme. Direkt nach der Feier reisen die Athletinnen und Athleten an die Austragungsorte Chur, Arosa und in die Lenzerheide.
Sie haben es erwähnt: Die Wettkämpfe finden im Kanton Graubünden statt. Wieso ist die Eröffnungsfeier in Zürich?
Im Kanton Graubünden gibt es keine Infrastruktur für eine solche Feier. Am Anfang haben wir auch überlegt, einige Disziplinen im Kanton Zürich auszutragen. Aber aus logistischen Gründen haben wir uns schliesslich für das Dreieck Chur-Arosa-Lenzerheide entschieden.
In der Schweiz sind Special Olympics noch nicht wirklich bekannt. Wie ist das in anderen Ländern?
Das kommt darauf an. Special Olympics ist in den USA aus der Familie Kennedy entstanden, die Amerikaner kennen uns. In Europa ist es unterschiedlich. Zum Beispiel in Österreich sind wir sehr bekannt, weil dort schon zwei Mal Weltspiele waren. Bei uns in der Schweiz ist aktuell die paralympische Bewegung viel bekannter. Das wird 2030 anders sein! Ich bin zuversichtlich, dass die Schweizer Bevölkerung dann auch die Special Olympics kennt.
Und was wünschen Sie sich für nach den Spielen vom 10. bis 19. März 2029?
Meine Hoffnung ist, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung viel stärker Teil der Gesellschaft und im öffentlichen Raum wahrgenommen werden. Für uns als Bevölkerung ist es eine Chance, zu reflektieren, ob wir immer schneller, weiter, höher gehen müssen oder ob wir nicht mit weniger zufrieden sein können. Zu beobachten, wie sich diese Menschen über Dinge freuen, die für uns Kleinigkeiten sind, hilft uns im Alltag.
Special Olympics World Winter Games 2029
Die Special Olympics World Winter Games in der Schweiz finden vom 10. bis 19. März 2029 statt und werden eine riesige Veranstaltung: Es kommen 2’600 Athletinnen und Athleten aus 100 Nationen mit rund 700 Betreuenden. Die Wettkämpfe werden in neun Disziplinen an drei Orten im Kanton Graubünden ausgetragen: in Chur die Eissportarten Shorttrack und Eiskunstlaufen sowie die Hallensportarten Unihockey und Floor Hockey, in Arosa Snowboard und Ski Alpin und in der Lenzerheide Schneeschuhrennen, Langlaufen und Tanzen. Das Budget für den Grossanlass beträgt insgesamt 38 Millionen Franken.